Geschichte der Russlanddeutschen #2

Illustration stalin mit schwarzem balken vor dem augen

Geschichte, Minderheiten • Lesezeit: 3 Min.

Das ist der zweite Teil der Geschichte der Russlanddeutschen, der sich mit den Geschehnissen ab dem Jahr 1924 bis heute auseinandersetzt.

1924 wurde die Autonome Sozialistische Sowjetrepublik der Wolgadeutschen gegründet. Bis dahin gab es bereits die sogenannte Arbeitskommune, doch mit der autonomen Republik erreichte die deutsche Kultur in der UdSSR (Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken; kurz Sowjetunion) eine neue kurze Hochzeit mit Zeitungen, Theater, Kunst und Literatur.


Ein Haus einer deutschstämmigen Familie im ehemaligen Landau in der heutigen Ukraine.

Übergang zum Stalinismus

Nach dem Tod Lenins im Jahre 1924 und der Machtübernahme durch Stalin wurde die Situation der Deutschstämmigen in der Sowejtunion spätestens ab den 1930er Jahren zunehmend schwieriger. Stalin verordnete eine grundlegende Russifizierung der Sowjetunion. Das betraf nicht nur die Russlanddeutschen, sondern auch andere Ethnien, die damals in der Sowjetunion lebten. Das führte dazu, dass sich die deutschsprachige Kultur immer weiter zurückziehen musste.

Ab 1929 begann die Kollektivierung der Bauern. Diese Zwangskollektivierung mündete in den frühen 1930ern in einer erneuten Hungersnot, die als sogenannten Holodomor in die Geschichte einging. Es gibt keine genauen Zahlen zu den damaligen Todesopfern insgesamt. Die Angaben schwanken von etwa 4,5 Millionen über 7,5 Millionen bis hin zu 14,5 Millionen Menschen, der dem Holodomor zum Opfer fielen. Darunter waren auch viele Russlanddeutsche.

Die stalinistischen Repressionen wurden zu dieser Zeit stärker. Bereits im Verlaufe der 1930er Jahre kam es zu Deportationen von sogenannten Kulaken, also wohlhabenden Bauern. Spätestens 1936/37 mit dem Beginn des Großen Terrors unter Stalin traf es auch die Deutschstämmigen in der Sowjetunion hart. Zu jener Zeit wurden Geistliche verbannt und erschossen, aber auch normale Bürger unter Vorwand gefangengehalten, deportiert oder umgebracht.

Spätestens mit einem Dekret vom 28.08.1941 war das Schicksal der Russlanddeutschen im Stalinismus in der Sowjetunion besiegelt. Stalin stellte die deutschstämmige Bevölkerung unter Generalverdacht. Er warf den Menschen Spionage und Kollaboration mit dem NS-Regime vor und nutzte diesen Grund formal für weitreichende Deportationen.

Sämtliche Russlanddeutsche wurden aus dem Schwarzmeergebiet und dem Wolgagebiet nach Sibirien und Zentralasien verschleppt. Im Zuge der Deportationen wurden sämtliche erwachsenen Personen zur Zwangsarbeit in der sogenannten Arbeitsarmee (Trudarmee; russ. трудармия) herangezogen. Zudem bekamen die Russlanddeutschen den Status „Sondersiedler“ und waren der Kommandatur des Innenministeriums der Sowjetunion unterstellt und durften bis ins Jahr 1955 nicht ihren Wohn- und Arbeitsort verlassen. Das hatte zur Folge, dass die Deutschstämmigen nicht mehr zurück in ihre Koloniegebiete durften.

Erneuter kultureller aufbruch

Nach 1955 kam Stück für Stück ein Wiederaufleben der russlanddeutschen Kultur, wenn auch nur in Maßen. Denn weiterhin galt die deutschstämmige Bevölkerung, vor allem unter der russischsprachen Mehrheit, als faschistisch, wenn auch der Hitler-Faschismus bis dahin schon zerschlagen worden war.

Direkt ab 1955 gründeten sich wieder erste deutschsprachige Zeitungen und ab den 1960ern gab es deutschsprachigen Rundfunk. Auch das religiöse Leben flammte wieder auf, welches ab 1917 Stück für Stück reduziert wurde und offiziell als komplett zerschlagen galt. Die Russlanddeutschen waren vorwiegend evangelisch, katholisch, aber auch baptistisch und mennonitisch.

Zeit der Aussiedlung

Ab den 1960ern begann dann die langsame Abwanderung der Deutschstämmigen aus der Sowjetunion vor allem in die BRD. In den 1980ern wurde der Strom der Aussiedler größer. Insgesamt waren es etwa 2,5 Millionen russlanddeutsche (Spät-)Aussiedler, die aus der Sowjetunion und ihren Nachfolgestaaten nach Deutschland übersiedelten.

Der Neuanfang war oftmals für die Familien nicht leicht. Die Euphorie bei der Aussiedlung aus der Sowjetunion war groß, da viele Deutschstämmige damals immer noch als die „Faschisten“ galten und deshalb von der Mehrheitsbevölkerung ausgegrenzt worden sind. Angekommen im Land der Vorfahren, standen die Menschen jedoch vor ganz ähnlichen Situationen, denn allzu oft galten und gelten die Russlanddeutschen unter den Bio-Deutschen schlicht als „Russen“, ohne weiter zu differenzieren.

Historisches Unwissen

Diese Situation kommt nicht von irgendwoher. Sie ist dem geschuldet, dass die Geschichte der Russlanddeutschen bisher kaum großflächig thematisiert wurde und unter anderem im Schulunterricht gar keine Rolle spielt. Die Menschen können also, sofern sie sich nicht selbst damit beschäftigen, nichts darüber wissen.

Einen großen Beitrag zur Aufklärung leisten dabei viele kulturelle Institutionen, die zum einen den Russlanddeutschen bei der Integration in die Gesellschaft helfen, aber auch Brücken bauen zwischen der hiesigen Bevölkerung und den Deutschstämmigen aus der ehemaligen Sowjetunion.

In den letzten Jahren kommen aber vor allem aus der jungen russlanddeutschen Community vermehrt Projekte und Initiativen der Aufklärung. So gibt es einige Podcasts und Netzwerke, die für einen intergesellschaftlichen Austausch sorgen und so das Bild immer weiter aufbrechen und differenzieren.

 
  • Infos:

    Der Text setzt den Fokus auf die wesentlichen Ereignisse in der Geschichte der Russlanddeutschen. Er soll dazu beitragen, Menschen, die bisher noch nichts oder nicht viel über die Russlanddeutschen wissen, aufzuklären.

    Quellen (Links):

    Deutsche in Russland (EKD)

 

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Reik Kneisel

Ich lebe in Kiel, komme ursprünglich aus Mittelsachen. Beruflich bin ich Projektmanager, Verleger und Herausgeber. Ich bin studierter Slavist und Kunsthistoriker. Seit Frühjahr 2024 betreibe ich das Online-Magazin Polylux sowie das Verlagshaus Reik Kneisel.

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