Eine unbekannte Geschichte: Deutsche in Kirgistan

Geschichte, Minderheiten • Lesezeit: 3 Min.

Dass deutschsprachige Menschen ebenso wie viele andere Gruppen dieser Erde über die Jahrhunderte überall hin migrierten, ist allgemein bekannt. Doch unbekannt ist doch, wo genau sie hinmigrierten. Eines ihrer Ziele ist eine Region in Zentralasien gewesen, nämlich die heutige Republik Kirgistan.

Für viele Deutschstämmige Menschen aus Kirgistan ist das einer der prägendsten Blicke: Vom Dorf aus direkt auf die Berge des Tian-Shan-Gebirges im Grenzgebiet zu China. Quelle: RKn.


Erste deutschsprachige Siedler in den 1860er Jahren

Die ersten Siedler kamen in das Gebiet, da erborte das damalige Russische Emperium gerade die dort gelegenen Khanate. Zu jener Zeit siedelten sich hier vor allem deutschsprachige Fachleute nieder. Dies geschah jedoch erst vereinzelt. In den 1880er Jahren gab es dann die erste größere Einwandererwelle deutschsprachiger Bevölkerung. So erhielten die Mennoniten, die bis dahin in der Ukraine und an der Wolga siedelten, die Freigabe der russischen Obrigkeit, in das heutige Gebiet Kirgistans einwandern zu dürfen. Sie ließen sich erstmals im Talas-Tal nieder und gründeten dort die Dörfer Köppental, Nikolaipol, Gnadental und Gnadenfeld. Die Namen wurden jedoch schleunigst von den russischsprachigen Behörden russifziert und wo wurde aus Köppental Romanowka, aus Gnadental wurde Andreewka und aus Gnadenfeld Wladimirowka. Nikolaipol war der einzige Ort mit einem russischen Namen, den dieser behalten durfte.

Weitere mennonitische Siedlungen entstehen

Schnell wuchs die deutschsprachige Bevölkerung auf etwa 2.000 Menschen an. Der Platz wurde knapper und so gründeten weitere Siedler erste Kolonien außerhalb des Talas-Tals. Ab 1907 entstanden so Siedlungen im nordöstlich vom Talas gelegenen Tschüj-Tal in der Nähe der heutigen kirgisischen Hauptstadt Bischkek.

Weil der Zuzug nicht abebbte und in den 1920er Jahren bereits fast 3.000 deutschsprachige Siedler in Talas-Tal lebten, genehmigten die Behörden neue Ortsgründungen im Tschüj-Tal, in dem bereits einige deutschsprachige Siedler lebten. So entstand 1925 das Dorf Grünfeld und zwei Jahre später 1927 das Dorf Bergtal. Weiter nördlich entstanden weitere deutsche Dörfer, darunter Luxemburg und Friedenfeld.

Nicht-mennonitischer Zuzug und Deportationen

Doch nicht nur die deutschstämmigen Mennoniten zog es in das heutige Kirgistan. Auch lutherische und katholische Gruppen Deutschstämmiger ließen sich über die Jahre dort nieder. 1920 gab es bereits 4.000 deutschsprachige Menschen im Gebiet. In den folgenden Jahren bis in die 1930er Jahre stieg die Zahl weiter an. Die große Hungersnot Anfang der 1930er vor allem in der heutigen Ukraine sowie im Kaukasus und in weiten Teilen Kasachstan, führte dazu, dass weiter Deutschstämmige ihre Regionen in der Sowjetunion verließen und weiter nach Kirgistan zogen, welches von der Hungersnot nicht betroffen war.

So gab es weiteren Zuzug nun auch in kirgisische oder auch russische Dörfer, sodass von nun an auch gemischte Dörfer entstanden. In den Folgejahren kam es dann auch zu größer angelegten Deportationen. Spätestens 1941 wurden viele Deutschstämmige aus ihren Erstkolonien deportiert und nach Zentralasien, auch nach Kirgistan verschleppt. Dort standen bis 1956 alle Deutschsprachigen unter der sogenannten Sonderkommandatur, durch die sie an ihren Wohn- und Arbeitsort gebunden waren und diesen erst nach 1956 ohne Erlaubnis wieder verlassen durften.

In dieser Zeit gab es noch einmal eine größere Migrationswelle Deutschstämmiger nach Kirgistan, vor allem aus Kasachstan und Sibieren.

Abwanderung und Rückkehr

Nach 1970 Begann die erste Abwanderungswelle, die Deutschland als Ziel hatte. Bis dahin gab es etwa 100.000 Deutschstämmige in Kirgistan. Viele verließen Kirgistan, weil sie sich in Deutschland ein besseres Leben versprochen hatten. Heute leben noch etwa 8.000 Deutschstämmige in Kirgistan. Die deutschsprachige Bevölkerung hat seit den 1990er Jahren einen eigenen Kulturverband, den „Volksrat der Deutschen der Kirgisischen Republik“. Dieser fördert die deutsche Sprache und Kultur der noch in Kirgistan lebenden Deutschstämmigen.

In den letzten Jahren gab es zudem aber auch einen umgekehrten Trend. Gerade bei diejenigen, die als Jugendliche aus Kirgistan nach Deutschland migrierten, ist oftmals das „Heimweh“ groß. Einiger derer entschieden sich deshalb für eine Rückkehr in ihr Geburtsland.

Die Deutschen aus Kirgistan gehören zur Gruppe der Russlanddeutschen. Mehr zur Geschichte der Russlanddeutschen erfahrt ihr hier: Geschichte der Russlanddeutschen Teil 1 und Teil 2.

 
 

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Reik Kneisel

Ich lebe in Kiel, komme ursprünglich aus Mittelsachen. Beruflich bin ich Projektmanager, Verleger und Herausgeber. Ich bin studierter Slavist und Kunsthistoriker. Seit Frühjahr 2024 betreibe ich das Online-Magazin Polylux sowie das Verlagshaus Reik Kneisel.

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