Geschichte der Russlanddeutschen #1

Illustration Birken mit bild von häusern

Geschichte · Minderheiten | Lesezeit: 3 Min.

Das ist der erste Teil der Geschichte der Russlanddeutschen, der sich mit den Geschehnissen zwischen 1763 und 1924 auseinandersetzt.

Die Geschichte der Deutschstämmigen in Russland und seinen Vorgängerstaaten ist eine sehr lange. Denn bereits im frühen Mittelalter gab es deutsche Handelsmenschen in der Kiewer Rus. Aber erst nach dem Mittelalter, etwa ab dem 17. Jahrhundert wurden systematisch Menschen aus Westeuropa, darunter auch Deutschstämmige in Russland angesiedelt. In dieser Zeit entstand dann unter anderem in Moskau die „Deutsche Vorstadt“ (russ. Немецкая слобода).


Manifest der Katharina II.

Für die heutigen Russlanddeutschen ist aber der 22.07.1763 der zentrale Tag. Denn an diesem Tag veröffentlichte die damalige Zarin, Katharina II. (Katharina die Große, eigentlich Sophie Auguste Friederike von Anhalt-Zerbst) ihr sogenanntes Einladungsmanifest, welches zu einer massenhaften Einwanderung in das damalige Russische Reiche führte, um weitestgehend unbewohnte Gebiete zu besiedeln und fruchtbar zu machen. Dabei ging es vor allem um weitläufige Gebiete an der südlichen Wolga sowie später im Verlauf auch große Gebiete am Schwarzen Meer.

Und so wanderten auf Grundlage des Manifest der Zarin Katharina II. etwa 30.000 deutschstämmige Menschen, darunter aber auch einige wenige französisch-, niederländisch- und schwedischstämmige Menschen ins Russische Reich ein. Diese ersten Kolonisten durften ihre Dörfer nun im Gebiet um die Stadt Saratow errichten. Sie erhielten einige Privilegien gegenüber der übrigen Bevölkerung. Unter anderem genossen die Einwanderer Religionsfreiheit, waren vom Wehr- und Zivildienst befreit und mussten keine Steuern abführen. Sie durften ihre Gebiete auf kommunaler Ebene selbstverwalten, erhielten Land und eine finanzielle Starthilfe.

Besiedlung des Schwarzmeergebiets

Ab Ende des 18. Jahrhunderts besiedelten die deutschstämmigen Familien dann auch die Gebiete am Schwarzen Meer. Die ersten Siedler kamen noch unter Katharina II. Doch erst mit dem weiteren Manifest, welches Zar Alexander I. herausgab, begann die größere Besiedlung der noch nahezu menschenleeren Gebiete am Schwarzen Meer. Alexander I. warb insbesondere Landwirte, Handwerker, Winzer und andere Gewerke für die neuen Kolonien an. Dem Ruf folgten wiederum etwa 110.000 deutschstämmige Menschen aus den süddeutschen Ländern (Pfalz, Württemberg, Baden, Elsass und Bayern). Kurz zurvor hatte der Vorgänger von Alexander I., Paul I. das „Gnadenprivileg“ für mennonitische Gruppen eingeräumt, welches den Mennoniten weiträumige Freiheiten erteilte und so siedelten viele Mennoniten, die aus dem Friesischen nach Preußen gezogen waren fortan im Schwarzmeerraum des Russischen Imperiums.

Zusätzlich siedelten in Wolhynien (heutiges Grenzgebiet zwischen Polen und der Ukraine) auch deutschstämmige Menschen. Diese Kolonien entstanden im frühen und mittleren 19. Jahrhundert. Die Siedler stammten aus Preußen, aus Mitteldeutschland und Schwaben. Etwa zur gleichen Zeit entstanden auch einige Kolonien im südlichen Kaukasus im heutigen Georgien.

Ende des 19. Jahrhunderts wanderten viele Deutschstämmige aus ihren Kolonien an der Wolga und im Schwarzmeergebiet weiter in Richtung Nordkaukasus, Zentralasien bis nach Sibirien. Grund dafür waren oft Platzprobleme für neue Ansiedlungen sowie verschärfte politische Umstände.

Dorf Romanowka im heutigen Kasachstan, gegründet im Jahr 1895 von deutschstämmigen Siedlern aus Bessarabien, dem Nordkaukasus und dem Wolgagebiet.

In den Jahren nach der Jahrhundertwende spitzte sich die politische Lage gegenüber der deutschstämmigen Bevölkerung im Russischen Reich weiter zu. Allzu oft wurde durch nationalistische Propaganda das Bild der Spionage geschürt, vor allem in den Jahren des Ersten Weltkriegs. So veranlasste Zar Nikolaus II. die Vertreibung deutschstämmiger Familien in Grenzgebieten und verbot die deutsche Sprache an Schulen und in der Öffentlichkeit. Das führte unter anderem in Moskau zu Pogromen.

Deutsche Autonomie ab 1917

Erst mit der Oktoberrevolution 1917 kamen diese Vertreibungspläne zum Erliegen und die deutschstämmige Minderheit im neuen Sowjetrussland, dem Nachfolgestaat des Russischen Reiches, bekam aufgrund ihrer landwirtschaftlichen Leistungen eine Sonderstellung. So entstand schon im Jahr 1918 die „Arbeitskommune des Gebiets der Wolgadeutschen“. In den Folgejahren kam es dann aber vermehrt zu Hungersnöten, da die Sowjetregierung ein Vielfaches als Getreidelieferungen von den deutschstämmigen Bauern verlangte als in anderen Landesteilen. Das führte dazu, dass viele Tausende Wolgadeutsche starben und wiederum viele Familien aus dem Gebiet nach Zentralasien oder Sibirien auswanderten.

Jedoch kam es in diesen Jahren auch zu einem kulturellen Aufschwung. Viele Deutschstämmige besaßen gut funktionierende Unternehmen, die im Sowjetrussland ein gutes Ansehen hatten. Das mündete 1924 in der weitreichenden Autonomie mit der Gründung der Autonomen Sozialistischen Sowjetrepublik der Wolgadeutschen.

Im zweiten Teil geht es um die Zeit ab 1924: Geschichte der Russlanddeutschen #2

 
 

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Reik Kneisel

Ich lebe in Kiel, komme ursprünglich aus Mittelsachen. Beruflich bin ich Projektmanager, Verleger und Herausgeber. Ich bin studierter Slavist und Kunsthistoriker. Seit Frühjahr 2024 betreibe ich das Online-Magazin Polylux sowie das Verlagshaus Reik Kneisel.

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